AndreasRauscher

Video Game Culture und Intermediale Wechselspiele

(ursprünglich erschienen in Testcard Nr. 15 – The Medium is the Mess, Mainz 2005)

 
Spiel und Film

In kaum einem anderen Medium machten sich in den letzten Jahren die Veränderungen der technischen Möglichkeiten und die Zunahme seiner kulturellen Relevanz stärker bemerkbar als im Bereich der Videospiele. Die Branche hat inzwischen in ihren Einnahmen nicht nur die Filmindustrie überholt. Die beiden Medien nähern sich auf den unterschiedlichsten Ebenen zunehmend einander an, ohne ihre jeweilige Eigenständigkeit aus den Augen zu verlieren. Die Varianten des vermeintlich interaktiven Films der frühen neunziger Jahre, in denen sich die Tätigkeit der Spieler darauf beschränkte zwischen mäßig realisierten Filmaufnahmen monotone Rätsel zu lösen oder den Joystick in Minutenabständen in eine andere Richtung zu bewegen, gehören der Vergangenheit an. Umgekehrt hat man in Sachen Gamedesign glücklicherweise inzwischen erkannt, dass eine Horde Zombies, die aus den Schatten plötzlich vor die virtuelle Kamera springt, zwar in einem Film von George A. Romero durchaus eindrucksvoll und unheimlich wirkt, in einem Videospiel den Spielern jedoch jegliche Orientierung raubt.

 

Regisseure wie Peter Jackson, Steven Spielberg und der ehemalige New Black Cinema-Aktivist John Singleton (BOYZ N THE HOOD, HIGHER LEARNING) beteiligen sich mittlerweile selbst an der Gestaltung neuer Spiele. Als Initiator dieser Entwicklung gilt ihr Kollege George Lucas (THX 1138, STAR WARS), der in den frühen achtziger Jahre ein eigenes Videospiellabel gründete. Die zwischen 1987 und 1995, unter anderem zur hauseigenen INDIANA JONES-Filmserie, veröffentlichten Grafik-Adventures der Firma Lucasarts zeichneten sich durch ihre einfallsreiche Gestaltung, ihren lakonischen Humor und die zahlreichen raffinierten popkulturellen Anspielungen aus. In MANIAC MANSION (1987) konnte man drei Protagonisten aus einer Gruppe von Jugendlichen, die verschiedene, filmisch etablierte Standardfiguren, vom technikbegeisterten Nerd, über eine Punk-Sängerin bis hin zum sportlichen Surfer umfasste, auswählen. Die Befreiung einer Gefangenen aus den Klauen einer Mad Scientist-Familie ließ sich unschwer als Hommage an klassische B-Pictures, von den Tentakel-Aliens der 50er Jahre über eine blutverschmierten Kettensäge in der Küche des entlegenen Landhauses bis hin zu den Hinterwäldlern des Backwoods-Horrors der 70er Jahre, erkennen. Unterwegs musste man einem melancholischen Tentakel zu einer Karriere als Rockstar verhelfen und im Nachfolger DAY OF THE TENTACLE (1993) ließ sich per Zeitreise die amerikanische Verfassung um den Zusatz ändern, dass in jedem Keller ein Staubsauger stehen soll. Für diesen Komfort verzichtet man auch gerne auf irrelevante Dinge wie Menschenrechte. Die bisher vierteilige MONKEY ISLAND-Reihe (1991-2000) dekonstruierte hingegen die Motive des klassischen Piratenfilms. Bis heute bilden die Lucasarts-Adventures ein prägnantes Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Film und Videospiel. Die beiden Medien ergänzen sich gerade dann produktiv, wenn mit popkulturellen Motiven und dem mit diesen verbundenen Vorwissen wie etwa den Stereotypen des Horror- und Abenteuerfilms gespielt wird, statt einfach nur einfallslos die nicht immer kompatiblen Gestaltungsmittel von einem Medium auf das andere zu übertragen.

 

Mit dem Strategiespiel THE MOVIES (2005) des britischen Gamedesigners Peter Molyneux wurde schließlich die Filmgeschichte selbst zum Spielgegenstand. Die Spieler vollziehen nicht nur die historische Entwicklung des Mediums nach, die Formelhaftigkeit der Kulturindustrie lässt sich an Hand von Blockbuster-Zutaten, die der Spieler selbst je nach Epoche unterschiedlich einstellen kann, exemplarisch nachvollziehen. Das fertige Ergebnis wird anschließend als animierter Kurzfilm präsentiert, der sich unabhängig vom Spiel weiter verbreiten lässt. Molyneux integrierte mit dieser Funktion einen Trend in sein Spielkonzept, der in den letzten Jahren für neue kreative Möglichkeiten im Bereich der animierten Kurzfilme sorgte.

 

Als Machinima-Produktionen werden mit wenig Aufwand am Computer selbst hergestellte Kurzfilme bezeichnet, die mit Hilfe von Game-Engines, d.h. der bei Spielen für Grafiken, Hintergründe und Figuren benutzten technischen Programme, erstellt wurden. Das ursprüngliche Spielszenario wird dabei zu einem virtuellen Studio umfunktioniert. Die Resultate werden über nicht kommerzielle Internet-Seiten wie www.archive.org verbreitet oder finden sich inzwischen auch im Programm des einen oder anderen Film-Festivals. Vergleichbar den immer aufwändigeren Amateurfilmen, die Fans zu Serien wie STAR WARS oder STAR TREK drehen, verwenden die Machinima-Filme das Werkzeug populärer Ego-Shooter wie QUAKE oder UNREAL TOURNAMENT für ihre eigenen Zwecke. Die ursprünglich mit Hilfe einer spielinternen Aufzeichnungsfunktion als reine Dokumentation der eigenen Spielleistung begonnenen Home-Videos haben sich mittlerweile weit von ihren Ursprüngen entfernt. In HARDLY WORKING (2002) von der New Yorker Machinima-Gruppe Ill Clan wurden die martialischen Gestalten der Ego-Shooter durch schrullige Holzfäller, die sich in bester Slapstick-Tradition in einem Bistro als Aushilfskellner versuchen, ersetzt. Zu den einfallsreichsten Machinima-Produktionen zählt die mit Hilfe des Science-Fiction-Shooters HALO seit 2003 hergestellte RED VS. BLUE-Serie. In dieser führen die futuristisch maskierten Spielfiguren, deren Alltag gewöhnlich aus Deathmatches und Capture the Flag-Wettkämpfen besteht, absurde existenzialistische Debatten in der Tradition von MASH und CATCH 22. Sie sinnieren darüber, ob sie nicht einfach nur Spielbälle eines zynischen unsichtbaren Gottwesens sind und überlassen die von ihnen bewachte Flagge, in Multiplayer-Spielen eine heiß umkämpfte Trophäe, gerne der gegnerischen Truppe. Mit dem langweiligen Stofffetzen könnten sie ohnehin nichts anfangen. RED VS. BLUE nutzt nicht nur die Mittel des Videospiels, um einen originellen Kurzfilm zu schaffen. Der Film thematisiert gleichzeitig die Motive und Mechanismen des entsprechenden Spielgenres. Diese Reflexivität bildet keine Ausnahmeerscheinung. Vielmehr erscheint sie kennzeichnend für eine veränderte Betrachtung der Videospiele, die sich sowohl praktisch in den durch die Integration klassischer Mini-Spiele deutlich autoreflexiver gestalteten Games selbst, als auch theoretisch durch eine zunehmend komplexere Aufbereitung von spielbezogenen Themen bemerkbar macht. 

 

Gamestudies – zwischen Joystick und Kulturwissenschaft

Mit etwas Verspätung kam in den letzten Jahren eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Ästhetik der Videospiele in die Gänge. Zeitschriften wie The Edge, Ple: und Gee oder das sehr empfehlenswerte Online-Magazin Telepolis bemühen sich um eine ernsthafte Aufbereitung der Entwicklungen um das nicht mehr ganz so neue Medium, jenseits von auf technische Details und Wertungskästen fixierten Nerd-Debatten. Anfang 2005 sorgte der New Yorker Journalist und Kommunikationswissenschaftler Steven Johnson für Aufsehen, indem er einen Gegenansatz zu den seit Neil Postmans We’re Amusing Ourselves to Death gängigen kulturkonservativen Allgemeinplätzen skizzierte. In einem Buch mit dem programmatischen Titel Everything Bad is Good For You thematisierte er am Beispiel ausgewählter Videospiele und TV-Serien wie THE SOPRANOS die zunehmende Komplexität der gegenwärtigen Popkultur. Johnson nimmt die von ihm untersuchten Tendenzen ernst, ohne sich auf vorschnelle, naive Affirmationen einzulassen.

 

Im akademischen Umfeld beschäftigt sich die Disziplin der Gamestudies mit den kulturellen Zusammenhängen der Videospiele. Wie Johnson vertreten sie die Position, dass die Diskussion um Videospiele neue ästhetische Kategorien erfordert, statt sich ständig nur auf die ironisierte Position eines „Guilty Pleasures“ zurück zu ziehen. Klassische für Literatur und Film gültige Wertungsmaßstäbe wie Charakterentwicklung und eine komplexe Narration werden als Kriterien den meisten Videospielen nicht wirklich gerecht. Vielmehr bestehen deutliche Parallelen zwischen Gamedesign-Konzepten und Strategien der räumlichen Inszenierung, von traditioneller Installationskunst bis hin zu Theme Park-Attraktionen. Die durch zahlreiche Publikationen, Reader und Konferenzen zunehmend ausdifferenzierten Ansätze der Gamestudies lassen die einseitigen Debatten über die jugendgefährdende Wirkung von Ego-Shootern hinter sich. Vergleichbar den Cultural Studies der neunziger Jahren gestalten sie sich als Crossover-Disziplin, in der sich Ansätze aus den Bereichen Medienwissenschaften, Soziologie, Psychologie, Gender Studies, Informatik, Literaturwissenschaften und Ökonomie finden und im Idealfall einander produktiv ergänzen.

 

Einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze bietet die seit 2001 regelmäßig als Internet-Magazin veröffentlichte wissenschaftliche Zeitschrift Gamestudies (www.gamestudies.org), deren Mitherausgeber Espen Aarseth 1997 mit dem Buch Cybertext eines der Standardwerke über interaktive Texte verfasste. Neben ausführlichen Interviews mit Gamedesignern und Beiträgen zu einzelnen stilprägenden Titeln finden sich in den bisherigen Ausgaben aufschlussreiche Beiträge über so unterschiedliche Themen wie die wirtschaftliche Struktur virtueller Welten, die Soundtracks der Nintendo-Spiele, die politischen Subtexte diverser Ego-Shooter und die nach wie vor relevante Frage, ob es sich bei der multimedialen Abenteurerin Lara Croft um eine feministische Ikone oder doch nur einen Cyberbimbo-in-disguise handelt.

 

Virtuelle Popgeschichte

Die Wechselspiele zwischen Videospielen und Popkultur verdeutlicht nicht nur der omnipräsente virtuelle Star Lara Croft, dem Astrid Deuber-Mankowsky eine komplette, informative Abhandlung in Buchform widmete. Die ebenso populären wie umstrittenen Gangster-Epen der GRAND THEFT AUTO-Reihe (1997-2005) beziehen die unterschiedlichsten filmischen und musikalischen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte ein. Trotz einiger problematischer Aspekte wie des nicht genügend ausdifferenzierten Frauenbildes bieten sie einen sarkastischen Gegenentwurf zu den sterilen Vorstadt-Idyllen des Mainstreams und der Alltagssimulation THE SIMS (2000), der als bissige Satire auf den American Dream funktioniert. In einem Waffengeschäft wird die erzreaktionäre 80er Jahre-Teenie-Mobilmachung RED DAWN (USA 1985) als Dokumentation angepriesen. Ein an leicht identifizierbaren realen Vorbildern orientierter Junk Food-Konzern wirbt im Radio mit einem seichten Easy Listening-Jingle, der seine Gegner darauf hinweist, dass man finanziell am längeren Hebel sitzt. Die Moderatorin des Indierock-Senders Radio X weiß nicht mehr, von wem sich die Alternative Rock-Szene überhaupt noch abgrenzen soll. Auf einem Talkshow-Kanal sammelt ein fundamentalistischer Bibelprediger Geld für eine Statue zu seinen eigenen Ehren und die hitzige Diskussion um das fiktive Spiel Degenatron, in dem der Spieler einem gen-manipulierten Affen zur Weltherrschaft verhelfen muss, gleicht bis ins Detail den realen Debatten um die GTA-Serie. Das sorgfältig gestaltete Radioprogramm spielt auf einfallsreiche Weise mit den Pop-Diskursen der letzten beiden Jahrzehnte. Streckenweise erreichen die Radio-Arrangements, zwischen denen der Spieler selbst wählen kann, die Qualität eigenständiger Hörspiele. Im Mitte der 80er Jahre angesiedelten GTA – VICE CITY (2003) tauchen zwischen Old School-Rap, New Wave, Synthie-Schnulzen und Speed Metal-Tracks immer wieder schaurige Metal-Balladen auf, über die sich kurz darauf ein Anrufer empört, der sich als militanter Altrocker erweist. Für die scheußlichste aller Poser-Bands, die fiktive New Metal-Sensation Love Fist, eine Mischung aus Moetley Crue und Manowar, muss man im späteren Verlauf des Spiels noch als Drogenlieferant aktiv werden und in einer Parodie auf den Actionfilm SPEED (USA 1995) einen Sprengstoffanschlag auf die selbst ernannten Metal Gods verhindern. Im Nachfolger GTA - SAN ANDREAS (2004) werden hingegen Anfang der neunziger Jahre energische Debatten zwischen der luxuriösen R’n’B-Swingbeat- und der orthodoxen Hardcore-Rap-Fraktion geführt. Chuck D von PUBLIC ENEMY moderiert eine Classical-Hip Hop-Show und George Clinton erläutert sein Verständnis von Funk, während ein fiktiver deutscher House-DJ ständig zwischen Größenwahn und Paranoia pendelt. Die zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschrittene Kommerzialisierung der Rap-Szene wird nicht nur im Rahmen des Radioprogramms, sondern im Gamedesigns selbst thematisiert. In einer Reihe von Missionen muss der Spieler für den dilettantischen Nachwuchsrapper O.G. Loc die nötigen Utensilien für dessen Karrierestart besorgen, von einem bei einer Strandparty entwendeten Soundsystem, an das man erst nach einer für Actionspiele relativ ungewöhnlichen Tanzeinlage gelangt, bis hin zum Textbuch eines erfolgreichen Rapstars, der von ICE-T synchronisiert wurde. Die zahlreichen an den GTA-Spielen beteiligten Gastsprecher, die bewusst an ihre bekannten Rollenfiguren anknüpfen, erinnern an vergleichbare Auftritte bei den SIMPSONS: Burt Reynolds versucht sich als Immobilienhai durch die Entfachung eines Bandenkriegs Miami unter den Nagel zu reißen, Peter Fonda bezieht sich als ständig wirre Verschwörungstheorien von sich gebender Alt-Hippie unmittelbar auf sein durch EASY RIDER geprägtes Leinwand-Image und Samuel L. Jackson mimt einen hinterhältigen korrupten Cop, der den Spieler in einen Neo-Noir-Plot hineinbefördert.

 

Als provokante Antithese zu gewöhnlichen Karrieresimulationen muss sich der Spieler in der GTA-Reihe durch diverse Aufträge, die von einfachen Kurierfahrten bis hin zu an Francis Ford Coppolas GODFATHER-Filmen (USA 1971-1990) und Brian De Palmas SCARFACE (USA 1983) angelehnte Gangster-Dramen reichen, an die Spitze der Mafia hocharbeiten. Als Schauplatz dienen überzeichnete Nachbildungen von New York, Miami, San Francisco, Los Angeles und Las Vegas. Die Stadtbilder beziehen sich nicht direkt auf reale Vorbilder, sondern generieren sich aus bekannten filmischen Vorlagen und Videoclips. Detailliert und mit zahlreichen ironischen Querverweisen werden bekannte Bildwelten von Michael Manns MIAMI VICE (USA 1984-1989) bis zu Martin Scorseses MEAN STREETS (USA 1973) nachgebildet. Mit dieser betont artifiziellen Strategie und durch die amüsante Kombination unterschiedlicher Genres entgeht GTA weitgehend der Gefahr einer exploitativen Haltung, die angesichts der Entscheidung die L.A. Riots als Höhepunkt des Spiels SAN ANDREAS zu verwenden durchaus gedroht hätte.

 

Im Vergleich zu den prominenten Synchronsprecher und dem Spiel mit filmischen Welten in GTA gestalten sich die popkulturellen Bezüge in den unkonventionellen Produktionen TRON 2.0 (2003), REZ (2001) und AMPLITUDE (2002) nicht weniger unmittelbar, wenn auch wesentlich abstrakter. Alle drei Spiele greifen in ihrer Steuerung auf vertraute Muster zurück, doch die Gestaltung unterscheidet sich in ihrer Akzentuierung abstrakter Bildwelten deutlich von den gängigen Trends. Das sowohl an die Gemälde von Kandinsky, als auch an die synästhetischen Experimente der frühen Filmgeschichte angelehnte REZ stellt zu einem dynamischen Techno-Soundtrack in abstrakten Formen die Bewusstwerdung eines Computersystems dar. TRON 2.0 belebt mit den heutigen technischen Möglichkeiten die minimalistischen Wireframe-Welten aus Steven Lisbergers gleichnamigem, filmischen Vorgänger von 1982 als Retro-Entwurf aus der Anfangszeit des Cyberspace wieder. In dem Spiel AMPLITUDE remixt der Spieler hingegen diverse bekannte Songs mit den Mitteln eines Shooters, indem er sich entlang der Tonspuren bewegt und auf zusätzliche Sound-Samples zielt.

 

Neben der historischen und soziokulturellen Aufbereitung der verschiedenen Spielgenres gehört es auch zu den Aufgaben der Gamestudies unterschätzte und übergangene Titel wie diese neu zu entdecken. Gegen die Non-Stop-Affirmation der Kulturindustrie und die hysterischen Pauschalverurteilungen, wie sie etwa von der ZDF-Sendung Frontal 21 mit den Mitteln des Boulevard-Journalismus zwecks billigem Stimmenfang im kulturkonservativen Lager propagiert werden, setzen die Gamestudies eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit Videospielen. Ihre Ansätze erscheinen gerade in Hinsicht auf die Fortführung diverser Cultural Studies-Debatten interessant und ausbaufähig. Die Spieltheoretiker Gonzalo Frasca und Ian Bogost entwarfen parallel zu ihren auf der Website www.watercoolergames.org gesammelten Beobachtungen zum politischen Potential von Videospielen Mini-Games, die ihre theoretischen Konzepte in die Tat umzusetzen versuchen. Das von ihnen gestaltete Java-Browser-Spiel SEPTEMBER 12TH vollführt eine deutliche Annäherung an die Konzepte der New Media Art. Mit einem Fadenkreuz kann der Spieler das Feuer auf Terroristen eröffnen, tötet dabei jedoch überwiegend nur Zivilisten.

 

Als Gegenakzent zu den marktbeherrschenden Blockbuster-Produzenten wie der im Bereich Film-Adaptionen und Sportspiele führenden Firma EA Games bildet sich zunehmend eine Independent-Szene mit eigenen Vertriebsnetzwerken heraus. In Anlehnung an den New Journalism von Hunter S. Thompson versuchen einige Autoren als Alternative zur Mainstream-Berichterstattung die Bedingungen der eigenen Spielerfahrung zu vermitteln. Eine kritisch-historische Aufbereitung der Videospiele nach dem Vorbild der vom British Film Institute herausgegebenen Einführungsbände zu bekannten Filmen verfolgt die von dem Mailänder Journalisten und Medienwissenschaftler Matteo Bittanti herausgegebene italienische Reihe Videoludica, deren Bände demnächst auch auf Englisch erscheinen sollen. Angesichts dieser zahlreichen Aktivitäten jenseits des virtuellen business-as-usual scheinen die ersten Jahre der Gamestudies lediglich die Tutorial-Level für das gerade begonnene interdisziplinäre Multiplayer-Spiel gewesen zu sein.

 
Literatur:
  • Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft – Modell, Medium, Cyberheldin. Frankfurt am Main, 2001.
  • Henry Jenkins und Justine Cassell: From Barbie to Mortal Kombat. Boston, 2000.
  • Steven Johnson: Everything Bad is Good for You. New York, 2005.
  • Steven L. Kent: The Ultimate History of Video Games. New York, 2001.
  • Geoff King & Tanya Krzywinska: „ScreenPlay – Cinema/Videogames/Interfaces“. London, 2002.
  • Konrad Lischka: “Spielplatz Computer – Kultur, Geschichte und Ästhetik des Videospiels”. Hannover, 2002.
  • Matthias Mertens & Tobias O. Meißner: “Wir waren Space Invaders – Geschichten vom Videospiel“. Frankfurt am Main, 2002.
  • Britta Neitzel, Matthias Bopp & Rolf F. Nohr (Hg.): “See I’m Real… – Multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel SILENT HILL“. Münster, 2004.
  • Steven Poole: “Trigger Happy – The Inner Life of Video Games”. London, 2000.
  • Mark J.P. Wolf & Bernard Perron: “The Video Game Theory Reader”. New York, 2003.