Grand Theft Godfather – Die Corleones im Videospiel
„Tony watches Godfather 2 all the time …. He prefers Part 2, not Part 1. He likes the part where Vito goes back to Sicily.” – The Sopranos
Nicht nur Tony Soprano, dem ständig von Stress geplagten Mafia-Paten aus New Jersey, der sich vor den Banalitäten des Alltags wie den regelmäßigen Besuchen bei seiner Psychiaterin in die Welt der Corleones flüchtet, könnte das im März 2006 vom Software-Major EA Games veröffentlichte Spiel zu The Godfather den erhofften Eskapismus bereiten.
Im Unterschied zu den Sopranos aus der gleichnamigen Erfolgsserie des Senders HBO läuft der Spieler gar nicht erst Gefahr das Gefühl zu bekommen, er wäre erst nach dem Ende aller großen Gangster-Erzählungen ins Geschäft eingestiegen. Motiviert durch den Erfolg des in den 1930er Jahren angesiedelten, deutlich von Coppolas Filmen beeinflussten Spiels Mafia (2002, Illusion Softworks) und der ironisch auf The Godfather anspielenden Action- Adventure-Reihe Grand Theft Auto (abgekürzt: GTA, seit 1997, Rockstar Games, bisher sieben Teile) erwarb die für Filmumsetzungen und Sportspiele bekannte Firma EA Games von Paramount die Lizenzen für eine Videospiel-Adaption. Nicht nur die Popularität komplexer, auf das Gangster-Genre rekurrierender Spiele für ein erwachsenes Publikum, auch die Fortschritte im Gamedesign ließen den Zeitpunkt für eine Umsetzung günstig erscheinen. Seit den späten 1990er Jahren hatten sich die auf Filmen und TV-Serien basierenden Videospiele zunehmend von einer allzu starren Fixierung auf die Vorlagen gelöst. Abgesehen von einigen erfreulichen Ausnahmen wie Ghostbusters (1984, Activision) und Aliens (Electronic Dreams, 1986), sowie diversen Indiana Jones und Star Wars-Spielen beschränkten sich die meisten der gegen hohe Summen lizenzierten Filmspiele in den 1980er und frühen 1990er Jahren auf die einfallslose Imitation eines gerade erfolgreichen Spielprinzips. Lediglich einige graphische Details wie die Spielfigur und die Kulissen, sowie die Verwendung des Filmtitels an exponierter Stelle schufen eine lose Verbindung zur Vorlage [1] . Eine ambitionierte Umsetzung der Godfather-Filme wäre vor zwanzig Jahren, in denen sich lediglich die Raumschlachten aus Star Wars oder die Hindernisläufe von Indiana Jones und diversen Comichelden problemlos auf Spielautomaten und diverse Konsolen übertragen ließen, bereits an den technischen Beschränkungen gescheitert. Umgekehrt wurde das Godfather-Spiel glücklicherweise auch nicht weiter von jenem voreiligen Hype um interaktive Filme tangiert, der in den frühen 1990er Jahren nach der Einführung der CD-Rom entstand. Trotz der Integration umfangreicher, vorgefertigter Videosequenzen (Cut-Scenes) scheiterten die so genannten interaktiven Filme an der Vernachlässigung der spielerischen Elemente, oder wie der kanadische Medienwissenschaftler Bernard Perron lakonisch anmerkt: „Playing a game is not about watching a movie with a joystick in your hand.“ [2]
Das Godfather-Spiel entzieht sich dieser kreativen Sackgasse, indem es in einer für neuere Spiele charakteristischen Weise non-lineares Gameplay mit der graduellen Entwicklung des Plots kombiniert. Für die Computer animierten Cut-Scenes wiederholten James Caan, Robert Duvall, John Martino und Abe Vigoda als Synchronstimmen ihre Rollen aus dem Original und erweiterten diese für das Spiel um neue Szenen. Sogar Marlon Brando nahm kurz vor seinem Tod noch Dialoge für das Spiel auf. Al Pacino lehnte jedoch jegliche Beteiligung ab, die Game-Designer konnten lediglich auf sein digitales Abbild zurückgreifen. Daher begegnet der Spieler auf dem Anwesen der Corleones immer wieder Sonny und Tom Hagen, während sich Michael, die ursprüngliche Hauptfigur des Films, im Spiel auf eine Statistenrolle beschränkt. Kurioserweise absolvierte der an The Godfather Part Three (USA 1991) nicht beteiligte Robert Duvall seinen dritten Auftritt als Anwalt Tom Hagen nicht vor einer realen, sondern der virtuellen Kamera.
Der Spieler kann sich als per Mob-Face-Editor selbst gestalteter Handlanger der Corleone-Familie eigenständig durch das detailreich umgesetzte New York der 1940er Jahre bewegen. Es bleibt ihm selbst überlassen, ob er im Stil klassischer Brettspiele durch die Erpressung von Schutzgeldern und die Übernahme feindlicher Betriebe (dem Äquivalent zu den Feldern eines Brettspiels wie Monopoly oder Risiko) seinen Einflussbereich ausbaut oder im Rahmen verschiedener Story-Missionen der rund um den ersten Godfather strukturierten Handlung folgt. Der Plot streift immer wieder das Geschehen um die Corleones, ohne dass der Spieler den bereits bekannten Verlauf der Geschichte verändern könnte. Ein Autor der New York Times verglich die Perspektive des Spiels treffend mit Tom Stoppards Roman Rosencrantz and Guildenstern Are Dead, in dem die Nebenfiguren aus Shakespeares Hamlet ein unerwartetes Eigenleben entwickeln [3] . In Coppolas Filmen wird man vergeblich nach dem Protagonisten des Spiels suchen. Er müsste irgendwo am Bildrand bei den Professionals um Sonny Corleone oder Tom Hagen stehen. Der Spieler übernimmt Aufgaben, die eng mit den Ereignissen im Film verbunden sind, aber in diesem nicht gezeigt, sondern lediglich angedeutet wurden. Man beschützt als Eskorte den angeschossenen Paten auf der Fahrt ins Krankenhaus, begleitet Luca Brasi, der im Tutorial den Spieler mit der Steuerung vertraut macht, zu seiner schicksalhaften Begegnung mit der Konkurrenz und sorgt dafür, dass der Kopf des Lieblingspferdes des mürrischen Hollywood-Produzenten sicher in dessen Bett landet. Nicht immer gelingt die Spiel-Adaption überzeugend, manche Passagen erscheinen entgegen den melodramatischen Intentionen des Plots als zu fahrlässig gestaltet. Die in der Grand Theft Auto-Reihe durch pointierte Gesellschaftssatire relativierte und bewusst überzeichnete Brutalität gerät im Godfather-Spiel in einigen, dem Spieler frei gestellten Sub-Quests zu stark in den Leerlauf eines austauschbaren Shooters und die in den Cutscenes aufgebaute Handlung in Vergessenheit.
Die Entwickler versuchten Francis Ford Coppola für die Produktion des Spiels zu gewinnen. Der Pate des New Hollywood betrachtete diese Einladung jedoch als ein Angebot, das er guten Gewissens ablehnen könne. Kurz vor Veröffentlichung des Spiels ging er sogar in die Offensive und erklärte: "They use the characters everyone knows, and then for the next hour they shoot and kill each other. I had absolutely nothing to do with the game, and I disapprove." [4] In seinen Kommentaren zu den Godfather-Filmen betonte Coppola immer wieder, dass die Beobachtung des gewöhnlichen Familienlebens wie der Umgang mit den Kindern und die Zusammenkünfte zu den gemeinsamen Feiern für ihn ein zentrales Element der Trilogie darstellten. Diese Motive fehlen im Spiel fast vollständig, stattdessen wird der Spieler als „gun for hire“ mit sämtlichen Handlangern der Corleones bekannt gemacht, die in den Filmen wie Joe Spinell als Willie Cicci oder Richard Bright als Al Neri nur kurz in Erscheinung treten.
Im Unterschied zu einigen seiner ehemaligen Weggefährten interessiert sich Coppola offensichtlich mehr für Weinbau als für Spielkonsolen. Sein Freund und Kollege George Lucas produzierte hingegen mit seiner Firma LucasArts einige der innovativsten Titel der Videospiel-Geschichte wie das Adventure Grim Fandango (1998), eine ausgefallene Kombination aus Motiven des Film Noir und des mexikanischen Totenfest, oder die vierteilige, ironische Piratenfilm-Hommage Monkey Island (1991-2000). Wie in einer Presseerklärung im Herbst 2005 verlautet wurde, will Steven Spielberg mit selbstentwickelten, von EA Games vertriebenen Videospielen Spieler vor Rührung zum Weinen bringen (als wären noch nie einem Spieler oder einer Spielerin beim Verlust des letzten Lebens kurz vor Erreichen des Endgegners die Tränen gekommen). Im Unterschied zu Spielberg und Lucas, die sich im regen Austausch mit Videospiel-Entwicklern befinden, schätzt Coppola die Game-Adaption seines Films im gleichen Maße wie der Experimenten gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossene Tony Soprano den dritten Teil des Godfather.
Als Hintergrund für das Godfather-Spiel wählten die Gamedesigner den Kampf der fünf Mafia-Familien um die Herrschaft über New York, der im Mittelpunkt des Romans und des ersten Films steht. Durch die Wahl dieses Settings ließ sich der Handlungsraum entsprechend eingrenzen und die aus dem Film bekannten Gegner bleiben überschaubar. Ein Spiel über den Verrat durch den eigenen Bruder oder die kaum mehr fassbaren Machenschaften innerhalb des Vatikans zu programmieren, würde sich weitaus schwieriger als die Umsetzung dieses Ready-to-Play-Szenarios gestalten. Dennoch erweist sich The Godfather über weite Strecken als um einiges raffinierter, als es das zu offensichtlich an die erfolgreichen Vorgänger Mafia und Grand Theft Auto angelehnte Gamedesign anfangs erwarten ließ. Der dänische Videospieltheoretiker Jesper Juul nennt in seiner aufschlussreichen Analyse Half-Real [5] das Wechselspiel zwischen Regeln und fiktionalen Welten als eines der hervorstechendsten Merkmale von Videospielen. Hinsichtlich der Regeln besteht kaum ein Unterschied zwischen The Godfather und Mafia oder Grand Theft Auto – San Andreas. Die Eigenständigkeit des Spiels besteht in der gekonnten Umsetzung der fiktionalen Welt des Romans und der Filme, die um Räume erweitert wurde, die sich in den anderen Medien lediglich über Dialoge und Set-Design erahnen ließen.
Die Game-Designer verstehen es auf effektvolle Weise das New York der 1940er Jahre in eine nach den Genreregeln des neueren Gangsterfilms strukturierte und den Stilmitteln des Period Pictures gestaltete Spielfläche zu verwandeln. Der Spieler kann eigenständig die einzelnen Viertel erkunden und versuchen das von anderen Sippen dominierte Terrain zu erobern. Die Missionen der Haupthandlung werden fortgesetzt, so bald man die entsprechenden Markierungen auf dem Stadt-/Spielplan betritt. Neben dem neuen Blick auf vertraute Situationen, der etwa bei den Attentaten auf Vito und Sonny Corleone geschickt mit dem Vorwissen des Spielers arbeitet, besteht der Reiz des Plots in der dramaturgischen Aufwertung ursprünglicher Nebenfiguren wie dem gemütlichen Killer Clemenza. Auf Grund des anfänglichen Außenseiterstatus der Spielfigur dienen Charaktere aus dem weiteren Umfeld der Familie und nicht deren Oberhäupter selbst als Ansprechpartner. Neben dem Blick auf das Leben der Corleones durch den Dienstboteneingang entwickelt sich zusätzlich ein nach bekannten Mustern konstruiertes Drama um Liebe und Verrat. Diese Geschichte besticht weniger durch ihre Originalität, als durch die Idee, dass es sich um Ereignisse handelt, die sich nur einen Kameraschwenk vom filmischen Geschehen entfernt vollziehen. Ein wesentlicher Unterschied zu den Spielregeln des Classical Hollywood besteht natürlich darin, dass der Gangster am Ende bekommt. Ob sich der Charakter im Verlauf der Missionen grobschlächtig und brutal oder taktisch und zurückhaltend verhält, bleibt dem Spieler überlassen. Die Idee aus dieser für interaktive Medien definierenden Wahlfreiheit einen Charaktertest zu entwickeln bleibt jedoch leider in den Ansätzen stecken. Im Unterschied zu Spielen wie Star Wars - Knights of the Old Republic (Bioware/LucasArts, 2003) und Jade Empire (Bioware, 2005), in denen sich die Moral des Spielers unmittelbar auf das Spielgeschehen auswirkt, zeigt das Vorgehen des Spielers nur geringfügige Auswirkungen auf den Plot. Lediglich wenn der Waffenstillstand zwischen den fünf Mafia-Familien auf Grund einer zu hohen Anzahl an Grenzüberschreitungen des Spielers gefährdet ist, muss innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits ein in der Krypta einer Kirche wartender FBI-Agent bestochen werden, um einen Bandenkrieg zu verhindern.
Die offensichtliche Verwandtschaft des Spiels zur innovativeren und vielschichtigeren GTA-Reihe wird gleich zu Beginn mit einem sarkastischen Kommentar quittiert. Wie die GTA-Protagonisten kann der Avatar in The Godfather beliebig Autos stehlen. Fährt man jedoch mit dem geklauten Wagen bei den Corleones vor, belehrt das Wachpersonal den Nachwuchs-Gangster verächtlich, dass noch kein Pate seine Karriere als Autodieb begonnen hätte. Nach einigen erledigten Aufträgen für die Corleones, unter anderem die Erfüllung der von Vito zur Hochzeit seiner Tochter Connie angenommenen Wünsche, wird der Avatar von Tom Hagen in den inneren Kreis der Familie eingeführt. Man arbeitet sich der Reihe nach in der Hierarchie der Mafia hoch, bis man schließlich die Hintergründe von Sonnys Ermordung aufdeckt und im Finale parallel zur berühmten Tauf-Sequenz Michael Corleones Konkurrenten ausschaltet.
Spielerisch kombiniert The Godfather wie GTA und Mafia Elemente aus Renn-, Beat’em Up- und Shooter-Games. Trotz aller Special Moves, jenen Kampftaktiken, die den Spieler im Gefecht gegen intrigante Cops und gegnerische Mobster eine ungewöhnliche Kombo vollführen lassen, und der graphisch expliziteren Umsetzung erscheint die Gewalt im Godfather-Videospiel nicht sonderlich naturalistisch. Die möglichen Verhaltensweisen beziehen sich auf das Vorwissen des Spielers um die hochgradig stilisierte, artifizielle Ästhetik, sowohl des modernen Gangsterfilms, als auch der Videospiele aus der GTA-Reihe, die diverse Game-Genres innerhalb eines von Filmen und Serien bestimmten Referenzrahmen vermischt. Zwar bieten GTA III, Vice City und San Andreas detaillierte Simulationen von Städten, die sich an den Vorbildern von New York, Miami, Los Angeles, San Francisco und Las Vegas orientieren, in deren Straßen der Spieler Autos stehlen und Läden überfallen kann. Doch bereits das raffiniert auf die Popgeschichte der letzten dreißig Jahre verweisende Radioprogramm und die im Game-Szenario versteckten Mini-Spiele wie Disco-Tanzstunden, Arcade-Automaten mit Kinderspielen um Honig sammelnde Bienen, Motorcross-Rennen und die Gelegenheit zum Match auf einem Basketball-Court weisen deutlich darauf hin, dass es sich nicht um ein authentisches Szenario, sondern ein Patchwork aus unterschiedlichsten spielerischen Referenzen handelt. Die Bezüge reichen von einer satirischen, aggressiven Anti-Haltung zur sauberen Vorstadtwelt der populären Alltagssimulation The Sims über bekannte Rennspiele wie Outrun bis hin zum kinderfreundlichen Nintendo-Entertainment. Die meistens ebenso redundanten wie unsachlichen Debatten um die vermeintlich gefährliche Wirkung von Videospielen tauchen an einer Stelle sogar in einer Radio-Talk-Show innerhalb des Spiels selbst auf. Der vermeintlich realistische Alltag in „Sim Sin City“ (Gonzalo Frasca) erweist sich bei genauerer Betrachtung als versierte Collage aus popkulturellen Versatzstücken.
Entsprechend verhält es sich mit den cineastischen Einflüssen der Serie, die neben dem Szenario und dem Plot auch die Charakterisierung der Figuren bestimmen. Voice-Actors wie Ray Liotta, Dennis Hopper, Samuel L. Jackson, Peter Fonda und Chris Penn bringen ihre eigene Rollengeschichte ein. Miami Vice-Veteran Philip Michael Thomas entwirft in Vice City als Glamour-Gangster die Gegenfigur zu seiner Rolle als stilbewusster Detective Tubbs und in San Andreas sorgen Gangsta-Rapper wie Ice-T, MC Eiht und The Game für die virtuelle Street Credibility. Die Ausgangslage der GTA-Plots entspricht überwiegend den Standards des Neo-Noir. Der Spieler wird von seinen Kollegen hintergangen und landet als gebrandmarkter Outlaw in einem entlegenen Versteck. Mit Hilfe diverser Mafia-Kontakte kommt er den Verrätern aus den eigenen Reihen auf die Spur und spielt in der Tradition von Kurosawas Yojimbo (Japan 1961) und Leones For A Fistful of Dollars (Italien/Spanien 1966) die verschiedenen Parteien gegeneinander aus. Die Missionen variieren unter anderem Motive und Themen aus Filmen von Michael Cimino, Martin Scorsese, Quentin Tarantino, Michael Mann, Brian De Palma und natürlich Francis Ford Coppola. Nach dem ersten Drittel begegnet der Protagonist in GTA 3 dem auf Long Island residierenden Paten, der sich als Marlon Brando-Lookalike erweist. Im Unterschied zum dramatischen Geschehen in Mafia und dem Godfather-Spiel erwarten in GTA den Spieler weitaus banalere Aufgaben. Als Chauffeur fährt man die Tochter des Paten in einen Nachtclub, in dem sich kurz darauf eine Drogenrazzia ereignet. Um den Ruf der Familie nicht zu gefährden, muss die nicht mehr ganz nüchterne Nachwuchs-Patin in einer halsbrecherischen Aktion in Sicherheit gebracht werden, bevor sie jemand vor Ort erkennt. Der Don reagiert äußerst empfindlich auf die sich anbahnende Annäherung zwischen seiner Tochter und dem Protagonisten. In einer ebenso originellen wie skurrilen Hommage an Pulp Fiction (USA 1994) beauftragt er den Spieler vor der Aufnahme in den inneren Kreis der Familie als „Cleaner“ aktiv zu werden und einen blutverschmierten Wagen zu entsorgen. Erst kurz vor dem Ziel erhält der Spieler als weiteren Plot Point der sich entwickelnden Romanze die rettende Warnung, dass der Wiedergänger Don Corleones ihm einen postmodernen Bären aufgebunden hat. Das Auto wurde mit einem Sprengsatz versehen und soll den ahnungslosen Spieler ins Jenseits befördern, damit er der Tochter des Paten nicht zu nahe kommt.
Auf Wendungen dieser Art wartet man im Spiel zu The Godfather vergeblich. Das Gameplay bleibt bewährten dramaturgischen und spielerischen Konzepten verpflichtet. Film-Adaptionen, in denen der Spieler am Ende wie Christopher Walken in Abel Ferraras King of New York (USA 1990) unspektakulär in der U-Bahn stirbt oder emotional verkrüppelt und von allen verlassen wie Michael Corleone nach der Zerstörung der Familie in The Godfather Part Two (USA 1974) einsam auf dem Gipfel seiner Macht thront, werden weiterhin auf sich warten lassen. Dennoch hängt die Komplexität der Spielerfahrung zu einem wesentlichen Teil vom Verhalten und den Strategien des Spielers ab. Bei der Exekution des abtrünnigen Chauffeurs Paulie kann man wie im Film im Bild-Hintergrund die Silhouette der Freiheitsstatue erkennen. Ob der subtile, auf die dunkle Kehrseite des amerikanischen Traums anspielende Subtext der Bildgestaltung wahrgenommen wird, hängt im Gegensatz zum Film jedoch ganz davon ab, wie stark der Spieler gerade in den Schusswechsel mit dem entlarvten Verräter verwickelt ist.
Der Do-It-Yourself-Don passiert On- und Off-Räume der filmischen Erzählung. In diesen Situationen nimmt er je nach Aufmerksamkeitsgrad und Neugier das sich in seinem Umfeld anbahnende Familiendrama wahr. Nach dem Anschlag auf Vito wird er über die aus dem Film bekannten Szenen hinaus Zeuge des Widerstreits zwischen Sonnys impulsivem Tatendrang und Tom Hagens Stoizismus. Im Krankenhaus kann er vor der Ankunft der gegnerischen Banden ein Gespräch zwischen Vito und Michael belauschen, in dem der angeschlagene Patriarch genau jene Vorgehensweise in Frage stellt, die das Spielziel definiert.
Dieser im Film nicht vorhandene Dialog bildet im Spiel das dramaturgische Äquivalent zum letzten Gespräch zwischen dem Paten und seinem jüngsten Sohn kurz vor dem Tod des Patriarchen im idyllischen Garten des Corleone-Anwesens auf Long Island. Ob diese Vertiefung der Charaktere die entsprechende Beachtung findet, hängt von der Performance des Protagonisten ab, die sich nicht mehr alleine auf High Scores beschränkt, sondern in Situationen wie dieser rudimentäre schauspielerische Züge aufweist. Wenn sich der Spieler jedoch wie Homer Simpson, der, wenn er von den Corleones träumt, nur an die leckeren, mit dem Mafia-Job verbundenen Gratis-Mahlzeiten denkt, ausschließlich auf die eigenen Bedürfnisse konzentriert, werden ihm / ihr diese Untertöne ebenso sicher entgehen wie den Wortführern der von Ignoranz und Unkenntnis geprägten „Killerspiel“-Debatte. Deren Forderung Spiele zu verbieten, in denen das Begehen von Verbrechen sich nicht nachteilig auf den Spielverlauf auswirke [6] , würde nicht nur das Godfather-Game betreffen, sondern den Sieger des Kinderspiels Räuber-und-Gendarm a priori bestimmen und eine fundamentale Revision des mit Räubern verzierten Brettspiels Malefiz (altertümliche Bezeichnung für einen schweren Rechtsbruch [7] ) erfordern.
Die im Spiel etablierte Parallelhandlung zum Film lässt sich je nach Vertrautheit mit dem Ausgangsmaterial als postmoderne Ironie lesen, beziehungsweise ausspielen. Der Plot funktioniert als eine eigenständige Weiterentwicklung des filmischen Kosmos, vergleichbar dem 2005 erschienen Spin-Off-Roman The Godfather Returns von Mark Winegardner, der unmittelbar nach dem Ende des ersten Teils und somit auch nach Abschluss des Spiels einsetzt . Neben der epischen Ausgestaltung der Leerstellen zwischen dem ersten und zweiten Teil übernahm Winegardner auch das Story Editing des Godfather-Spiels. Wie in seinem Roman, in dem er geschickt die Vertiefung der aus den Filmen bekannten Protagonisten mit neuen Charakteren verknüpft, versteht es Winegardner neue Perspektiven auf vertraute Ereignisse zu entwickeln, die sich nicht in reinen Nerd-Themen erschöpfen. Die Zeiten, in denen die Spielhandlung von einem Praktikanten der Firma während der Mittagspause entwickelt wurde, gehören angenehmerweise der Vergangenheit an.
Der Ausbau des New Hollywood-Blockbuster zur multimedialen Erlebnislandschaft erinnert an jene Entwicklung, die Lucas in Eigenregie mit dem Star Wars-Universum vollzog. Diverse mehr oder weniger namhafte Autoren werden angeheuert, um die in den Filmen nur angedeuteten Ereignisse in eigenständigen Romanen auszugestalten. Comics und Videospiele bieten weitere Möglichkeiten neue Perspektiven auf die Erzählung bis hin zur vollständigen Emanzipation von dieser einzunehmen. Das Godfather-Videospiel entspricht jenem Phänomen, das der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins als „transmedia storytelling“ beschreibt [8] Die auf verschiedene Medien verteilten Stränge eines fiktionalen Universums ergänzen sich gegenseitig. Ob diese Vernetzung wirklich eine erzählerische Bereicherung darstellt, wie Jenkins nahe legt, hängt jedoch vom einzelnen Fall und der Ausrichtung des jeweiligen popkulturellen Mythen-Patchworks ab. Spätestens wenn man im ebenfalls von EA Games produzierten vierten Spiel zum The Lord of the Rings-Zyklus mit der minutiösen spielerischen Umsetzung der im hintersten Winkel von Mittelerde angesiedelten, bei J.R.R. Tolkien und Peter Jackson lediglich mit einem Nebensatz erwähnten Schlacht konfrontiert wird, interessiert nur noch das gelungene Gameplay und nicht die lediglich für Hardcore-Geeks und Vollzeit-Rollenspieler relevante Handlung. Probleme dieser Art ergeben sich bei The Godfather bisher noch nicht.
Die Erkundung der in Film und Roman nur flüchtig skizzierten Seitenarme der Erzählung erweist sich als reizvoller Einfall, der technisch versiert, wenn auch inhaltlich nicht immer konsequent umgesetzt wurde. Im direkten Vergleich kommen sowohl das ambivalentere, tragisch endende Mafia, als auch die abgründige und ausgesprochen bissige GTA-Serie der innovativen Haltung des New Hollywood näher. The Godfather von EA Games entspricht eher einem formal soliden, kurzweiligen und mit allen Production Values versehenen Blockbuster, der die mittlerweile erzielte Eigenständigkeit spielerischer Film-Adaptionen belegt. Obwohl der große Wurf auf Grund des zu konventionellen Gamedesigns und einiger unnötig ausufernder Shooter-Passagen ausblieb, so handelt es sich bei The Godfather zumindest um ein Angebot, das interessierte Spieler durchaus in Erwägung ziehen können. Die pointierteren ludischen Reflexionen zum Pop-Mythos The Godfather finden sich jedoch in Mafia und GTA.
[1] Einen guten Überblick über das diffizile Verhältnis zwischen Filmen und Videospielen bietet die Essaysammlung ScreenPlay – Cinema/Videogames/Interfaces, herausgegeben von Geoff King und Tanya Krzywinska. London, 2002. :
[2] Bernard Perron: “From Gamers to Players and Gameplayers: The Example of Interactive Movies” in: Derselbe und Mark J. P. Wolf (Hg.): The Video Game Theory Reader. London, New York, 2003. S. 239.
[3] Seth Schiesel: „How to Be Your Own Godfather“ in der New York Times vom 10.7.2005.
[4] Tor Thorsen: „Godfather film director whacks Godfather game”. Artikel des Online-Magazins Gamespot vom 8.4.2005. http://www.gamespot.com/news/6121958.html?q=Godfather%20Coppola&tag=result;title;13 (Zugriff: 24.4.2007)
[5] Jesper Juul: Half-Real – Video Games Between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge (Massachusetts), 2005.
[6] Vgl. Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern vom 2.2.2007 unter:
http://www.bundesrat.de/cln_050/nn_8336/SharedDocs/Drucksachen/2007/0001-0100/76-07,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/76-07.pdf (Zugriff: 24.4.2007)
[7] vgl. Spiegel-Online vom 2.2.2007 unter: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,463997,00.html (Zugriff: 24.4.2007)
[8] Henry Jenkins: „Game Design as Narrative Architecture“ in: Noah Wardrip-Fruin, Pat Harrigan und Michael Crumpton: First Person – New Media as Story, Game, Performance. Massachusetts (Cambridge), 2004. S. 124.